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Sozial- und Gesundheitswesen auf dem Land: Frauenärztin aus Aserbaidschan rettet Dorfpraxis

Die Großstadt kennt Armut, Wohnungslosigkeit und teure Mieten. Jenseits des Stadtrands ist die Lage aber nicht einfacher. Wer krank wird, merkt das schnell: Der Fachkräftemangel belastet das Sozial- und Gesundheitswesen, und das ist nirgendwo so spürbar wie auf dem Land. Die Gynäkologin Vafa Huseynova will helfen und übernimmt eine Dorfpraxis. Doch sie kämpft gegen Überlastung, Bürokratie und Fremdenhass.
Jana Renkert

Aus dem Wartezimmer fällt der Blick auf den leeren Dorfplatz und die geschlossene Eisdiele. Eine verschlafene Gegend, doch die Praxis ist belebt. Zwischen Kuscheltieren und Babyfotos tragen Eltern ihr Neugeborenes aus der Praxis. Frauenärztin Vafa Huseynova ruft zwei Ukrainerinnen auf Russisch ins Sprechzimmer.

Vor zwei Jahren übernimmt die Gynäkologin die Frauenarztpraxis in einem kleinen Dorf in Südbaden. Aufgewachsen ist sie in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan. Sie erfährt vom Ärztemangel in Deutschland und beschließt auszuwandern. „Es war mein Traum, hier auf dem Land zu arbeiten“. Vafa Huseynova erhält ihre Approbation, lässt sich ihren Facharzt anerkennen, lernt Deutsch. Mit Erfolg: Anfang vierzig rettet sie eine Praxis vor der Schließung.

„Es macht mich glücklich, Frauen zu helfen. Mal sitzen junge Mädchen auf meiner Couch, mal über 90-jährige“. Oft leiste sie bei ihren Sprechstunden auch psychotherapeutische Arbeit, erzählt sie. „Es geht nicht nur um den weiblichen Genitalbereich, es geht hier um die Frau als Ganzes.“

„Am Anfang wollte ich allen helfen“

Seit einigen Jahren wird die Praxis von Patientinnen nur so überrannt. „Seit der Flüchtlingswelle behandeln wir viele Ukrainerinnen“, erzählt Vafa Huseynova. Die Gynäkologin spricht Deutsch, Aserbaidschanisch, Russisch, Türkisch und Englisch, ein großer Vorteil für Patientinnen aus aller Welt. Als die Kollegin im Nachbardorf in Rente geht, fangen Vafa Huseynova und ihr Team viele Patientinnen auf.

„Am Anfang wollte ich allen helfen. Aber irgendwann musste ich auch für mich eine Grenze setzen. Ich habe die Praxis oft erst um 22 Uhr verlassen“. Auch Vafa Huseynovas Team musste sich an den Ansturm gewöhnen. „Es fällt mir schwer, Patientinnen ohne schlechtes Gewissen abzulehnen“, erzählt die Sprechstundenhilfe Stefanie Utz, „aber für Neupatientinnen sind wir schon bis nächstes Jahr im Sommer ausgebucht“. Manche Patientinnen fahren fast zwei Stunden zu Vafa Huseynova. Einige täuschen sogar einen Notfall vor, um einen Termin zu bekommen.

Landleben braucht ein Upgrade

Trotz des Personalmangels in der Region gibt es kaum offene Stellen. „Wenn meine Praxis die einzige auf dem Land ist, aber auch keine neuen Praxen öffnen dürfen, dann stimmt doch etwas nicht“, sagt Vafa Huseynova. Laut der Kassenärztlichen Vereinigung (KVBW) gibt es in der Region genug Frauenärzt*innen. „Der Versorgungsgrad liegt bei 112%, rein rechnerisch also eine gute Versorgung“, so Gabriele Kiunke von der KVBW. Ist der Versorgungsschlüssel erreicht, darf keine neue Praxis öffnen. Doch diese Rechnung geht nicht auf – die Wartezimmer sind längst überfüllt.

In Zukunft wird das Problem eher größer als kleiner. Jede*r zweite Gynäkolog*in im Landkreis ist über 60 Jahre alt, so die KVBW. Förderprogramme, die junge Fachkräfte aufs Land holen sollen, helfen erst langfristig, so Wolfgang Miller von der Landesärztekammer. „Nicht nur das Arbeiten, sondern auch das Wohnen auf dem Land muss attraktiver werden“, ist er sich sicher, „auch scheinbar Banales spielt eine Rolle: Kindergärten, Schulen, öffentlicher Nahverkehr“.

Kein leichter Start für Personal aus dem Ausland

Die Lösung: Fachkräfte aus dem Ausland, wie Vafa Huseynova. Laut der aktuellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit hat sich die Zahl der ausländischen Beschäftigten im Gesundheitswesen in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Und es könnten noch mehr sein. Vafa Huseynova kennt viele Kolleg*innen, die von einer eigenen Praxis träumen. Doch wegen kleinster Formalitäten warten sie oft lange auf die Zulassung in Deutschland.

Auch für sie selbst war der Start nicht leicht. „Eine Patientin hat mir während der Behandlung gesagt, ‚Nehmen Sie es nicht persönlich, aber ich hasse Ausländer‘“, erinnert sie sich. Solche Vorfälle seien zum Glück selten. „Mittlerweile fühle ich mich hier zuhause. Viele Patientinnen sagen mir, ‚schön, dass Sie da sind‘. Das macht mich froh“.

Jana Renkert
Kontakt: jana.renkert@gmail.com
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