Wir haben den Garten Eden gefunden. Mitten in Neukölln, nur zwei Blocks von der U-Bahn-Station Karl-Marx-Straße entfernt. Dort öffnet uns ein groß gewachsener Mann mit Vollbart und kurzen Hotpants das Tor zu seiner kleinen Oase. Tom schiebt das quietschende Metalltor zur Seite, „Willkommen im Rixdorfer Garten!“.
Gemeinschaft im Gemüsebeet
Seit elf Jahren betreibt Tom den Stadtgarten. Er scheint mehr als nur einen grünen Daumen zu haben: Kartoffeln wachsen hier neben tiefschwarzen Auberginen, Zitronenchilis, kolumbianischem Mais, Physalis, violetten Feuerbohnen und sogar Wassermelonen. Dazwischen ein Maulbeerbaum, Tabakpflanzen, Griechischer Bergtee und die verschiedensten Sorten Basilikum. In alten Autoreifen schießen Tomaten in die Höhe, zusammen mit Blutampfer und Erdbeeren. „Und hier ist die gemeine Gurkenfeige“, verkündet Tom grinsend. An den starken Ästen des Feigenbaums ranken sich kleine Gurkenpflanzen entlang. Tom kombiniert die unterschiedlichsten Pflanzen. Woher er weiß, was gut zusammenpasst? Ausprobieren, sagt er, „und zuhören, was Pachamama mir zuflüstert. Die Natur sagt einem schon, wo sie hinmöchte und welche Kombinationen gut passen. Monokultur funktioniert nicht“.
Gemeinschaft im Gemüsebeet, aber auch drumherum. Toms Garten soll ein Begegnungsort für alle sein. „Unser Leben könnte ganz einfach und gesund sein, wenn wir ein bisschen zusammenarbeiten. Sonst kämpft jeder nur für sein eigenes lausiges Glück“. Im Rixdorfer Garten ist das anders: Eltern und ihre Kinder aus der Nachbarschaft gärtnern mit, die Garten-AG der benachbarten Schule hat Kartoffeln gepflanzt. „Das lief super, bis sie irgendwann einen kleinen Knochen in der Erde gefunden haben. Dann wurden sie zu Forensikern und haben sich Regenwürmer ins T-Shirt gesteckt“. Tom lacht.
Sein eigenes Bio-Gemüse anzubauen sei aufwendig. Manchmal habe Tom sich bis zur völligen Erschöpfung gearbeitet. Aber es lohnt sich, sagt er: „Die Ernte, die anfällt, ist ein Geschenk von Mutter Natur. Mit diesen frischen Lebensmitteln kann man vor Ort ohne Lieferkette sterneküchentaugliche, aber einfache Gerichte kochen. Wenn das erstmal auf dem Tisch steht, merkt man, diese Zeit war gut verbracht“. Wichtig sei ihm auch, dass sein Garten ein Begegnungsort ist. Eine Frau aus der Nachbarschaft komme nach ihrem Feierabend manchmal noch in Toms grüne Oase und bereitet türkische Gerichte mit dem frischen Gemüse zu.
Tom kommt ins Schwärmen, als wir ihn fragen, was er mit den Zutaten aus seinem Garten am liebsten kocht. „Ich experimentiere ganz frech. Das, was anfällt, kombiniere ich“. Zurzeit schmore er gerne Auberginen zusammen mit Feigen, Chili und Knoblauch. Oder er zaubere einen Tomaten-Mozzarella-Salat mit den frischen Tomaten aus dem Garten.
Stadt und Natur – ein Gegensatz?
Tom ist gelernter Schmied und Musiker. Das Gärtnern habe er tief in sich drin. „Ich bin zwischen Stachelbeeren und selbstgezogenen Kartoffeln großgeworden“. Im Garten seiner Oma am Rande von Berlin bei Mahlsdorf/Kaulsdorf habe er die Gartenarbeit kennengelernt. Als er während der Corona-Pandemie keine Konzerte spielen konnte und auch der Musikunterricht ausfiel, wurde die Arbeit im Grünen zum Beruf. „Die Gartengestaltung hat meine Miete bezahlt“, erzählt Tom.
Wieso bleibt ein Gärtner wie Tom in der Großstadt? Möchte er nicht ins Grüne, weg von Asphalt und Beton? Nein, sagt Tom, er sei Ur-Stadtkind. Aufgewachsen in Ostberlin war die Stadt für ihn schon immer ein Abenteuerspielplatz. In den Ferien konnte er dann in Thüringen, der Heimat seiner Eltern, das Weite sehen. Dass Stadt und Natur Hand in Hand gehen, zeigt Tom heute in seinem Rixdorfer Garten. Tom bepflanzt alte Autoreifen. So kann auch auf versiegelten Flächen ein kleines Gemüsebeet entstehen. Er begrünt die Neuköllner Flachdächer. So schafft er Ausgleichflächen gegen die immer heißeren Sommer in der Stadt. Vom türkischen Wochenmarkt holt er das Gemüse ab, das sonst in der Tonne landen würde. So macht er seine eigene Komposterde. Er packt ein Thermometer aus und steckt es in die Erde. Fast 60 Grad hat die Heißrotte, verkündet er stolz. „Das ist Erde à la Rixdorf!“.
In all den Jahren, die Tom schon in Berlin lebt, habe sich die Stadt stark verändert. „Ich erinnere mich an eine Frau mit Kinderwagen, die mir entgegengerannt ist, weil die DDR-Polizei Tränengas und Wasserwerfer ausprobiert hat“. Tom schüttelt den Kopf. „Diese Art Lebenskonzept habe ich nie verstanden. Deshalb ist mir der Garten als friedliche Oase so wichtig“.
„Den Krieg gegen die Natur können wir nicht gewinnen“
Gärten wie diesen brauche es in der Stadt. Denn die Folgen des Klimawandels sind auch hier nicht mehr zu übersehen, erzählt Tom. In großen Tanks sammelt er Regenwasser und lässt es bei Trockenheit ins Gelände fließen. Nur so habe er verhindern können, dass die Bäume in seinem Garten umstürzen. „So ein Stadtgarten ist eine Idee, wo die Reise hingehen kann und wie man eine Stadt der Zukunft bauen kann“, erzählt Tom. „Die gute Nachricht ist, es gibt viele Orte wie diesen. Die schlechte Nachricht ist, dass strukturell zu wenig getan wird, um solche Orte zu fördern“.
Laut Tom sei es deshalb unabdingbar, gemeinschaftlich an Lösungen gegen den Klimawandel zu arbeiten. „Den Krieg gegen die Natur können wir nicht gewinnen“, sagt Tom. „Sie hat uns so lange Zeichen gegeben, wie eine Mutter, die ihrem Kind einen kleinen Klaps gibt. Wenn es dann immer noch unartig ist, rutscht der Mutter die Hand aus. Wir sind jetzt da, wo Mutter Erde richtig zuhaut, weil wir nicht zuhören wollen“.
Grüne Inseln zwischen Asphalt und Grau der Großstadt. Zusammen statt jeder für sich. Regenwassertanks statt Wasserwerfer. Heißrotte statt Tränengas. Tom und seine Rixdorfer Oase zeigen, wie es geht.
Fotos: Megan Auer (auermegan.myportfolio.com/contact)
Text: Jana Renkert (jana.renkert@gmail.com)