Von Tiny Houses hat man ja schon gehört. Aber was soll ein „Tiny Forest“ sein? Ein Mini-Wald? Tatsächlich ist es das Konzept des Tiny Forest, als Mini-Wald das Stadtklima zu verbessen, Feinstaub aufzufangen, CO2 zu reduzieren, Lärm zu minimieren und sogar Lebensraum für Vögel und Insekten zu bieten. Und an heißen Tagen, wie man sie im Sommer immer öfter erlebt, kühlt ein Tiny Forest die Umgebung merklich ab.

Das Konzept stammt von einem japanischen Waldforscher und nennt sich Miyawaki-Methode. Sie wird international in urbanen Räumen als Kimaanpassungsmaßnahme, Erosionsschutz, Flutenschutz oder Lärmschutz eingesetzt. Erste Tiny Forests gibt es in Hamburg, in Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsen – und auch in Berlin.

Einen davon pflanzte die Karuna-Sozialgenossenschaft an einem Aktionstag im Garten der Seniorenanlage „Haus Pankow“ auf nur 200 Quadratmeter Fläche. Der „Wald“ besteht aus 120 Bäumen und 300 Sträuchern. In dieser Dichte werden die Pflanzen allerdings nicht so groß wie üblich – das ist auch gar nicht gewollt. „Unser Tiny Forest Pankow ist hoffentlich der Auftakt für 100 Tiny Forests in ganz Berlin“, sagt Julia Scholz, die das Projekt mit Karuna koordiniert. Berlin ist eine der grünsten Metropolen Europas – braucht es da noch Tiny Forests im Stadtgebiet? Unbedingt, sagt Scholz. „Denn durch den Klimawandel hat auch die Vegetation in der Stadt gelitten  – kleine Hilfsmaßnahmen sind deswegen vonnöten. In kürzester Zeit wird sich hier ein stabiles und resilientes Ökosystem bilden“, ist sich Scholz sicher.

Für die Waldanpflanzung hat Karuna einen Pflanzaktionstag auf die Beine gestellt, bei dem jeder mit anpacken konnte. Es kamen Dutzende „Waldarbeiter“: die Einwohner der Seniorenanlage, Menschen von den Delphin-Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, Karuna-Aktivisten, die „Politik“ in Form von Britta Behrendt, der Staatssekretärin und Amtschefin für Klimaschutz und Umwelt, und Studenten der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. „Was gibt es schöneres, als Bäume zu pflanzen!“ begeistert sich eine Anwohnerin des Pflegeheims. Damit ein Wald gut gedeihen kann, ist natürlich ein guter Boden notwendig. Deshalb wird vor der Anlage eines Tiny Forests immer erst der Boden analysiert, eventuell wird er mit Muttererde und Dünger angereichert. In den ersten drei Jahren muss der Tiny Forest gepflegt, gegossen und gejätet werden.

Auch wenn der Tiny Forest klein ist, die Wirkung ist groß: durch den Mini-Wald werden 1,76 Tonnen CO2-Äquivalent dauerhaft im Boden gespeichert. Ein Tiny Forest speichert normalerweise 60 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter. Das sind bei einer Größe des Pankower Mini-Wäldchens insgesamt 12 Tonnen CO2-Äquivalent. Insgesamt werden auf dem Hof der Senioren-Residenz 13,76 Tonnen CO2-Äquivalent in Boden und Biomasse gespeichert. In zwei Jahren sollte man hier noch einmal vorbeischauen: die Karuna-Leute rechnen damit, dass der Baumbestand dann auf eine Höhe von rund zwei Meter angewachsen sein wird. Braucht ein natürlicher Wald bis zu 100 Jahre, um ausgewachsen zu sein, ist es der Tiny Forest schon in 10 Jahren. In diesem Alter ist ein Tiny Forest meist schon so dicht, dass er gar nicht mehr betreten werden kann.

Neben seiner Qualität als ökologischer Booster hat der Tiny Forest aber auch eine erzieherische Funktion. Denn die Menschen, die einen Wald selbst pflanzen und pflegen, werden sich der Bedeutung der Pflanzen für die Umwelt viel stärker bewusst. Deshalb unterstützte Selbsthilfe-Kontaktstelle in Berlin-Buch diesen Gedanken und stanzte kleine hölzerne Plaketten aus, die den Namen der Menschen tragen, die den Baum gepflanzt haben. „Wir haben hier soviele Kinder gesehen, die glücklich ihren ersten Baum gepflanzt haben. Denn was man liebt, das schützt man“, fasst es Julia Scholz zusammen.

Weil Tiny Forests noch relativ neu sind, gibt es wenig wissenschaftliche Erkenntnisse über sie. Fabrice Ottburg, Umweltforscher an der Universität Wageningen, schätzt den Nutzen der Tiny Forests hoch ein: „Insgesamt sind die Ergebnisse vielversprechend“, fasst er die Forschung zum Tiny Forest zusammen. Ottburg fand mit seinem Team 934 Pflanzen- und Tierarten im Mini-Wald. Es gibt aber auch kritische Stimmen zum Tiny Forest, etwa die der niederländischen Landschaftsarchitektin Tinka Chabot. Chabot bezweifelt, dass die Tiny Forests auf Dauer gedeihen.

Sie ist der Meinung, dass der Platzmangel, der im Tiny Forest herrscht, zu einer Konkurrenz zwischen den Arten führe, und auf Dauer könne es damit zu einem Rückgang der zu Beginn hohen Artenvielfalt kommen. Insbesondere die niedrigen Sträucher und Kräuter hätten es Chabot zufolge schwer. Dem hält Scholz entgegen, dass es schon umfangreiche Forschung zu Tiny Forest gebe, und dass sich die Anpflanzungen seit Jahrzehnten bewährt haben.

Offiziell als Wald gilt ein Tiny Forest nicht. Das Forstgesetz definiert Wald als „eine Fläche mit Holzgewächsen die mindestens 0,5 Hektar umfasst, mit einer Baumkronenbedeckung von mehr als 10%“ So gelten auch Obstbaumwiesen nicht als Wald. Übrigens ist Europa der einzige Erdteil, in dem Waldgebiete noch zunehmen. In der EU ist der Waldbestand in den letzten 10 Jahren im Durchschnitt um 30.000 Hektar pro Jahr gewachsen.